Europawahl: Die Grünen stürzen ab, weil sie nur von der Klima-Apokalypse reden (2024)

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In vielen europäischen Ländern sind Grüne im Sinkflug. Panik vor den Folgen des Klimawandels vermögen sie zu verbreiten. Überzeugende Lösungen bieten sie nicht.

Morten Freidel, Berlin

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Europawahl: Die Grünen stürzen ab, weil sie nur von der Klima-Apokalypse reden (1)

Seit sich Greta Thunberg vor fünf Jahren in Davos panische Politiker wünschte, ist Panikmache zu einem Markenkern grüner Parteien in Europa geworden. Die Rede ist von einem bevorstehenden Weltuntergang.

Robert Habeck, deutscher Wirtschaftsminister und der mächtigste grüne Politiker im Land, hat ihn gerade erst wieder beschworen. «Die Natur schlägt zurück!», sagte er angesichts der Fluten in den vergangenen Wochen bei einer Wahlkampfveranstaltung. Wer behaupte, dass die Welt wegen des Klimawandels schon nicht untergehe, der solle das bitte einmal den Flutopfern erzählen. «Für die ist die Welt untergegangen – buchstäblich», rief er ins Publikum. Und als dort anschliessend ein Baby zu weinen begann, entschuldigte er sich für seine Lautstärke. Achtsamkeit und Alarmismus gehörten bei den Grünen schon immer zusammen.

Ähnlich ist es in der Schweiz. Die frisch gewählte Präsidentin der Grünen Lisa Mazzone empfahl Nachwuchskräften kürzlich, Angst zu verbreiten. Die Generalsekretärin Rahel Estermann zeigte im Februar, wie das geht. Sie teilte in den sozialen Netzwerken eine Grafik von der Oberflächentemperatur der Ozeane. In den ersten Monaten des Jahres lag diese weit über den bisherigen Rekorden. Das ist in der Tat alarmierend. Aber die Welt erwärmt sich durch den Ausstoss klimaschädlicher Gase nun einmal, und das täte sie selbst dann noch, wenn die Weltgemeinschaft ihn sofort beenden würde. Denn das Klimasystem ist träge. Deshalb wird es weiter Temperaturrekorde geben.

Diese Erklärung lässt sich nur kaum politisch ausschlachten. Kein Wunder also, dass Estermann eine andere wählte. «Don’t look up», schrieb die Generalsekretärin dazu, in Anspielung auf den gleichnamigen Hollywood-Film. Darin rast ein Komet auf die Erde zu, aber die Warnungen der Wissenschafter nimmt keiner ernst. Estermanns Botschaft war die gleiche: Die Klima-Apokalypse naht, und keiner sieht hin.

Eine völlig überzogene Rhetorik

Die Grünen befinden sich in vielen europäischen Ländern im Sinkflug. Bei den Europawahlen straften die Wähler sie ab, bei den eidgenössischen Parlamentswahlen im vergangenen Herbst ebenfalls. Schweizer und Deutsche haben im Moment drängendere Sorgen als den Klimawandel, zum Beispiel den Krieg in der Ukraine, die Inflation, den AHV-Renten-Streit. Aber das allein erklärt die Wahlschlappen nicht. Umfragen zeigen vielmehr, dass der Klimawandel die Bürger in beiden Ländern noch immer bewegt. Es muss also einen anderen Grund für die Wahldebakel der Grünen geben. Hier kommt ihre apokalyptische Rhetorik ins Spiel.

Sie ist zunächst einmal irreführend. Der Vorsitzende des Weltklimarats Jim Skea sagte im vergangenen Sommer: «Die Welt wird nicht untergehen, wenn es um mehr als 1,5 Grad wärmer wird.» Es werde zwar eine gefährlichere sein. Aber es handle sich nicht um eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit.

Selbst im Kleinen ist das, was die Grünen über den Klimawandel sagen, oft völlig überzogen. Kurz vor der Parlamentswahl 2021 sprach der damalige Spitzenkandidat Robert Habeck über Kipppunkte im Klimasystem. Die Menschheit müsse den Klimawandel so begrenzen, sagte er, dass zum Beispiel der Permafrostboden in Sibirien nicht auftaue. Andernfalls entweiche Methan und beschleunige die Erderwärmung ganz von allein auf «3 oder 4 oder mehr Grad». Dann sei tatsächlich «Holland in Not».

Jochem Marotzke, Klimatologe und Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, hält das für «masslos übertrieben». Er und seine Kollegen erwarten, dass sich die Erde durch entweichendes Methan um bis zu 0,3 Grad zusätzlich erwärmen könnte. Das ist immer noch dramatisch genug. Aber es ist etwas völlig anderes als eine Welt, die sich ohne Zutun der Menschen um mehrere Grad zusätzlich erhitzt. Für Marotzke sind solche Aussagen «Katastrophenlyrik». Irgendwann dringt selbst diese Erkenntnis durch das Dickicht des grün gefärbten medialen Blätterwaldes.

Gegen ein Endlager verblasst sogar der Weltuntergang

Man muss nicht einmal in die Tiefen der Wissenschaften eindringen, um zu erkennen, wie überspannt die Rhetorik der Grünen ist. Es reicht aus, sie beim Wort zu nehmen. Angenommen, sie hätten recht, und die Welt droht in Bälde unterzugehen. Was müsste geschehen? Die Grünen müssten Freudentänze aufführen auf dem Gelände jedes Atomkraftwerks, das sich noch halbwegs instand setzen lässt. Denn diese Kraftwerke liefern Unmengen an klimaneutralem Strom.

Das Gegenteil passiert. Nichts bekämpften die Grünen in Deutschland hartnäckiger als Kernkraftwerke. Eine Zeitlang wollten sie eher schwimmende Ölkraftwerke einsetzen, als die Laufzeit der ihnen so verhassten Meiler zu verlängern. Und auch in der Schweiz begrüssen es Grüne, wenn Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Besonders fürchten sie den Atommüll. Ein Endlager finden sie offenbar schlimmer als die Erderwärmung.

Fazit: Wenn es um die missliebige Kernenergie geht, erhält sogar der Weltuntergang Aufschub.

Glauben die Grünen wirklich, dass den Wählern diese Widersprüche verborgen bleiben? Jedes Kind lernt intuitiv, dass etwas faul ist, wenn die Eltern das eine erzählen und das andere tun. Nichts schadet der Glaubwürdigkeit mehr, als wenn Reden und Handeln zu weit auseinanderklaffen. Das ist genau das Problem der Grünen. Ihre drastischen Warnungen vor dem Klimawandel und ihre dogmatischen Lösungsvorschläge passen einfach nicht zusammen.

So nähren die Grünen nur den alten Verdacht, dass sich ihre Klimapolitik am Ende gegen den Wohlstand richtet. Dass Klimaschutz und Industrie für sie eben doch nicht zusammengehören. Vor allem bürgerliche Wähler in Deutschland hat das abgeschreckt. Die meisten von ihnen sind zu den Christlichdemokraten abgewandert. Ihnen trauen sie offenbar eher eine pragmatische Klimapolitik zu, die möglichst viele Freiheiten erhält.

Selbst die Klimakrise wird irgendwann zur Normalität

Es kommt aber noch etwas hinzu. Der ständige Alarmismus ermüdet, gerade die Jugend. Die meisten jungen Menschen wollen keine Horrorszenarien über die Zukunft hören. Sie wollen Perspektiven aufgezeigt bekommen. Sie wollen nicht belehrt werden. Sie wollen wissen, wann sie wieder ohne Scham in die Ferien fliegen können.

Irgendwann lässt einen jede Drastik kalt. Man kann es am Ukraine-Krieg sehen. Mittlerweile ist die Öffentlichkeit Videos des Granatenbeschusses in die Schützengräben und vom anschliessenden Todeskampf der Soldaten gewohnt. Putin setzt genau auf diesen Gewöhnungseffekt. Er spekuliert auf nachlassende Hilfsbereitschaft im Westen. Aufreger mögen vielleicht kurzfristig Menschen mobilisieren. Langfristig aber können sie keine Politik tragen. Da hilft nur eine belastbare Strategie.

So ist es auch beim Klimaschutz. Er wird die Menschheit noch mindestens die nächsten dreissig Jahre beschäftigen, eher die nächsten fünfzig. Und doch reden die Grünen unentwegt von einer Klimakrise. Nur ist eine Krise, die noch mindestens dreissig Jahre andauern wird, irgendwann keine mehr. Sie wird zur Normalität, so bedauerlich das sein mag.

Die Weltuntergangsrhetorik der Grünen hat nicht allein im bürgerlichen Lager verheerend gewirkt, sondern auch im linken. Sie hat Klimaaktivisten radikalisiert. Einige wollen keine Kinder mehr in die Welt setzen, so sehr sind sie vom nahenden Ende überzeugt. Andere wollten sich zu Tode hungern, nur um Bundeskanzler Olaf Scholz das Eingeständnis abzupressen, dass die Klimakrise die Zivilisation bedrohe.

Mahnende Appelle gibt es genug

Glücklicherweise liessen sie nun davon ab. Aber noch immer sind zu viele Aktivisten davon überzeugt, dass nur das sofortige Lahmlegen des modernen Lebens die Klimakrise abwenden kann. Deshalb besetzten sie die Rollfelder von Flughäfen wie zuletzt in München. Für diese Radikalisierung sind Grüne mitverantwortlich.

Durch ihre drastischen Warnungen ist eine Spirale entstanden: Klimaaktivisten fangen an, die Moderne abzulehnen, Bürgerliche wenden sich entnervt ab. Der Verlierer ist der Klimaschutz.

Natürlich sind die Grünen an alldem nicht allein schuld. Grosse Teile der Gesellschaft zelebrieren mittlerweile lustvoll den Weltuntergang. In Klassenzimmern hängen gezeichnete Bilder brennender Erden, eine Armada von Kinderbüchern malt die Apokalypse aus. Die Aufforderung an die Kleinsten, Erwachsenen die Bedeutung des Klimaschutzes einzuhämmern, wird darin gleich mitgeliefert. Aber die Art und Weise, wie die Grünen über den Klimawandel sprechen, stützt all diese Horrorszenarien. Sie verleiht ihnen einen politischen Unbedenklichkeitsstempel.

Es braucht deshalb eine andere Erzählung. Keine gegen die Moderne gerichtete Untergangsfabel, sondern eine Geschichte des Aufbruchs, die hilft, die Krise der Moderne zu überwinden. Es braucht keine hitzköpfigen Prediger, sondern kühle Politstrategen. Mahnende Appelle gibt es genug. Was fehlt, sind durchdachte Pläne, wie sich Klimaneutralität erreichen lässt, ohne den Wohlstand zu gefährden. Die Grünen haben all das im Moment nicht im ausreichenden Masse zu bieten. Das ist der wahre Grund für ihren Absturz.

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Gerd Hintermaier-Erhard

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Die Verbreitung von Panik vor den Folgen des Klimas sollte man nicht ohne die Hinzunahme der Medienlandschaft und deren Personal betrachten. 150 Jungredakteure der ARD sind laut einer Umfrage (92 %) den Grün-Roten zugeneigt. Bekannt ist z.B. auch die manipulative Farbdarstellung in Wetterkarten des Fernsehens, in denen Temperaturen schon ab 25 °C in einem Tiefrot erscheinen. Wenn man sich eine jeweils aktuelle meteorologische Weltkarte betrachtet, fällt die chaotische Verteilung der Tiefdruckgebiete auf, die den Stoff dazu liefern, dass sich potenziell irgendwo auf der Erde IMMER eine Extremsituation entwickeln kann, also eine Sturm-, Flut- oder Rutschungsgefahr. Gleiches gilt für Hochdruckgebiete bezüglich Dürren. Durch die weltweite Vernetzung der Meteostationen entkommt keines dieser nahezu ständig sich zutragenden Ereignisse dem eingeschüchterten TV-Zuschauer. Früher, also vor diesem weltumspannenden Informationsnetz, gab es diese Extremwetterereignisse wahrscheinlich schon genauso, nur wurde nicht jeder „Starkregen“ (man sagte dazu Gewitterregen) aus Bangladesch oder sonstwo als existenzielle Bedrohung gesendet.

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K. M.

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Die angeblichen "Lösungen" der Grünen waren bei Lichte betrachtet keine Lösungen, sondern der Weg in den Sozialismus und die Planwirtschaft. Beides hat in der Vergangenheit sehr eindrücklich gezeigt, dass sie nicht funktionieren. Zuletzt in der DDR. Aus meiner Sicht war es jedoch gut, dass die Grünen an der Regierung waren und ihr Programm umgesetzt haben. So konnten die Menschen sehen, was Grüne Politik in diesem Land anrichtet. Die Krisen (Corona und Ukraine) haben das noch schön beschleunigt, dass wir nicht erst 3 oder 4 Legislaturperioden das Grüne Wunder ertragen mussten, sondern schon nach 2 Jahren das beispiellose Desaster bewundern konnten. Energie so teuer wie nirgends, Migration völlig außer Kontrolle, Steuern auf Rekordniveau und die Rettung der Infrastruktur scheitert an einer völig außer Kontrolle geratenen Bürokratie. Zu guter Letzt, flüchtet die Industrie in Rekordtempo aus diesem Land (BASF, Miele, Stihl...). Wer jetzt noch an die Grüne Wende glaubt, dem ist tatsächlich nicht mehr zu helfen. In einigen Teilen der Bevölkerung scheint allerdings der Schmerz noch nicht groß genug zu sein, knapp 12 % für die Grünen ist angesichts dieses Desasters immer noch erschreckend hoch.

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Job: National Farming Director

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